Man schrieb das Jahr 1770, als der 25-jährige Johann Gottfried Herder, der ursprünglich aus Ostpreußen stammte, in dem Residenzstädten Eutin weilte. Zugegeben, die Zeitspanne seines Aufenthaltes war recht kurz, insgesamt nur dreieinhalb Monate; denn letztendlich war er gekommen um aufzubrechen.
Eingeladen vom Herzog von Holstein-Gottorp war Herder von Paris her angereist, um den Erbprinzen Peter Friedrich Wilhelm kennenzulernen. Der 16-jährige Prinz studierte seit einem Jahr an der Kieler Christiana-Albertina-Universität und sollte nun auf Bildungsreise durch Deutschland, Frankreich und England gehen. Und Herder, der in Königberg Theologie und Philosophie studiert und sich mit seinen Schriften bereits einen Namen gemacht hatte, war auserkoren, den adligen Jungspund zu begleiten und ihm auf der Bildungsreise als Lehrer und Prediger zur Seite stehen.
Kein schlechter Job, muss sich der arme Philosoph gedacht haben und brach seinen Aufenthalt in Paris ab und sagte dem Herzog von Holstein-Gottorp zu. Weil aber die Lüfte damals allein geistigen Höhenflügen zur Verfügung standen und Reisen daher nur auf dem Land- oder Seeweg möglich war, führte Herders Weg nach Holstein über Hamburg und bot ihm Gelegenheit, Gotthold Ephraim Lessing und Matthias Claudius aufzusuchen.
Im März nun traf Herder in Kiel ein und lernte dort erstmals seinen Eleven kennen. Um diesen besser kennen zu lernen, gastierte Herder von Ende März bis zum Reiseaufbruch Mitte Juli in Eutin. Es heißt, die beiden hätten sich gut verstanden.
Kurz vor der Abreise allerdings erreichte Herder das Angebot des Grafen von Schaumburg-Lippe, in Bückeburg eine Stelle als Hofprediger und Konsistorialrat anzutreten. Das klang verlockend, doch die geplante Reise will und kann Herder nicht absagen, zumindest nicht den ersten Teil durch die deutschen Länder. Und so führt sie die Reise innerhalb eines Vierteljahres nach Hannover, Göttingen, Kassel, Hanau und Darmstadt bis nach Straßburg. Hier treffen Prinz und Philosoph auf den jungen Johann Wolfang Goethe, bevor sich ihre Wege trennen und Herder sich nach Bückeburg wendet.
In seinem Werk Dichtung und Wahrheit wird der spätere Weimarer Dichterfürst festhalten:
„Denn das bedeutendste Ereignis, was die wichtigsten Folgen für mich haben sollte, war die Bekanntschaft und die daran sich knüpfende nähere Verbindung mit Herder. Er hatte den Prinzen von Holstein-Eutin, der sich in traurigen Gemütszuständen befand, auf Reisen begleitet und war mir ihm bis Straßburg gekommen.“
Die traurigen Gemütszustände, die Goethe hier anspricht, können zu dieser Zeit noch als pubertäre Komplikationen gelten, werden sich aber fünf Jahre später zu einer Geisteskrankheit auswachsen, die den Prinzen von der Erbfolge ausschließen lässt.